Dorothee Wenner beleuchtet in "Mission Nollywood" Nigerias Filmwirtschaft
Aus deutschen Fernsehfilmen erfahren wir über Afrika meist, dass die blonde Münchner Arztgattin auf Safari ein dunkles Geheimnis plagt - mit Giraffe und Wasserfall im Hintergrund - und dass sie manchmal sogar mit dem einzigen schwarzen Protagonisten, dem Fahrer (oder dem kinderfreundlichen Wildhüter), spricht, als sei er ihresgleichen. Solche Filme, die sich ähnlich seit Jahren zu besten Sendezeiten in die Wohnzimmer ergießen, erinnern an einen ausgekauten Kaugummi.
Im Film "Mission Nollywood" von Dorothee Wenner, der ab und zu ironisch mit den Klischees spielt, ist die Rede von der Mission der Madame Peace: Peace Aniyam-Fiberesima ist eine nigerianische Energiebombe von umwerfendem Temperament mit mindestens einem Handy an jedem Ohr.
Ihre Mission ist die einer neuen Dimension der Unterhaltung: Geschichten für Afrikaner von Afrikanern. Madame Peace ist Filmemacherin, Produzentin, Gründerin und Vorsitzende der Afrikanischen Filmakademie. "Nollywood", scherzt sie in ihrer eigenen Fernsehshow, "hat ganz Afrika kolonialisiert." Im Film stellt sie - immer lachend und witzelnd, aber nie ohne ihr Handy - Regisseure, Produzenten, Distributoren und Schauspieler vor. Wobei nicht wenige von ihnen mehrere dieser Funktionen gleichzeitig erfüllen.
Im Schnitt 1500 Filme pro Jahr
Die seit den 90er Jahren boomende unabhängige nigerianische Filmindustrie Nollywood ist nach der Statistik die größte der Welt, dagegen verblasst selbst das Produktionsvolumen von Bollywood: Im Schnitt entstehen knapp 1500 Filme pro Jahr. Die Produktionskosten sind im Vergleich zu westlichen Budgets minimal. Die Filme gelangen aber nicht in die Kinos: Auf dem Kontinent existieren derzeit nur noch ein paar Dutzend Filmtheater, die meisten davon in Südafrika. In Nigeria sind viele Kinos heute in Kirchen umgewandelt. Religion spielt eine zentrale Rolle im Land, dessen Bevölkerung jeweils zur Hälfte muslimisch und christlich ist.
Aber auch wenn ein Film nicht von "göttlicher Seelenheilung" handelt, steht im Abspann oft "Gepriesen sei Gott." Was weniger mit Religiosität zu tun hat. Denn als Nollywood sich selbst erfand, gewährte keine Bank Kredite, noch war eine Filmförderung in Sicht. Dafür unterstützten die konkurrierenden Kirchen die Produktionen - und warben so um Anhänger.
Nigerianische "Home Videos" sind in dem rund 200 Millionen Einwohner zählenden Land - und zunehmend in ganz Afrika - extrem gefragt. Nach der Ölindustrie ist die Filmproduktion inzwischen der zweitgrößte Arbeitgeber des Landes. So wie Ifeanyi Onyeabor in "My life" seine eigene Geschichte verfilmt, in der er als Autos waschender Straßenjunge von einer Prostituierten mitfühlende Hilfe erhält, erzählen die Autoren von dem, was die Menschen bewegt. "Sie repräsentieren nach der langen Militärdiktatur das Bedürfnis nach Freiheit", meint ein Filmkritiker. Kate Henshaw, Mikrobiologin und eine der Top-Schauspielerinnen Nollywoods, spielt in der Romanze "A Million Tears" eine Leukämie-Kranke. Aids, Genital-Verstümmelung, häusliche Gewalt, Vergewaltigung, Raubüberfälle: Tabuthemen werden aufgegriffen, Action- und Liebesfilme sind beliebt. Gedreht wird in Englisch, Yoruba oder Ibo.
Lagos ist geprägt von Extremen
Die Bilder von Lagos sind unterlegt mit pulssteigernder Musik von Philip Scheffner. Sie ist wie die Filmmetropole selbst: schnell, modern, anarchisch. Straßenszenen, Märkte, Clubs, Highways, eine Slumsiedlung entlang der Schienen, Hochhausarchitektur. Lagos ist geprägt von Extremen, die nebeneinander existieren.
Wenn sie nicht gerade über den Globus jettet, um für Nollywood zu werben, diskutiert Peace, einzige Tochter eines der Begründer des Ölbooms, im Kreise ihrer sieben ganz in weiß gekleideten Brüder neue Pläne. Die Afrikanische Filmakademie ist eine Stiftung ihrer Familie. Peace, ihre Brüder und alle die Filmschaffenden, die zu Wort kommen, bewegt eine gemeinsame Zukunftsvision: "Die afrikanische Geschichte mit Afrikas eigener Stimme zu erzählen."
Und diese Geschichte erzählt "Mission Nollywood" auf eine mitreißende, lebendige und äußerst dichte Art mit intensiven Bildern - ganz ohne Kaugummi.